Zwillinge

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Zwillinge

Geschwisterbindungen im Mutterleib -
(unbekannte) Mehrlingsschwangerschaften

Geschwister sind wichtig. So wichtig, dass es die Familienordnung nachhaltig in Unruhe bringt, wenn nicht alle vollständig sind bzw. dasein dürfen oder die natürliche Rangfolge des Alters nicht gewahrt wird. Das kann man beispielsweise in einer Familienaufstellung sehr verdichtet sehen, aber natürlich auch im alltäglichen Leben beobachten. Noch enger ist diese Geschwisterbindung, wenn es sich um Zwillinge handelt. Kein Wunder, hat man doch 9 Monate zusammen in einem Raum verbracht, der sich an Enge, Intimität und Verbindung nicht übertreffen lässt. Umso tragischer wird der Verlust empfunden, wenn einer der Zwillinge/Mehrlinge stirbt, und der andere weiter lebt. Oft sind Schuldgefühle und Verbundenheitsgefühl so groß, dass der Überlebende das Leben nicht in seiner Fülle nehmen kann. "Wie kann es mir gutgehen, wenn Du gestorben bist?" oder "Ich folge Dir nach", sind häufige Reaktionen.
Doch die gestorbenen Mehrlinge, bzw. deren Stellvertreter sprechen in einer Aufstellung oft davon, dass es ihnen ganz wichtig ist, zu sehen, dass es ihren lebenden Geschwistern gut geht im Leben.
Auch ich hatte ähnliche Gefühle lange Zeit (unerkannt) mit mir herumgetragen, obwohl mein Zwillingsbruder doch quicklebendig ist. Es mehrten sich für mich Hinweise, dass wir anfangs im Mutterleib nicht nur zu zweit, sondern noch mehr waren. Zunächst erschien mir das selbst unwahrscheinlich, doch Stück für Stück fügte sich das Puzzle zusammen - wir waren bzw. sind anscheinend Vierlinge.
Viele Erkenntnisse über das Zwillingsthema verdanke ich Norbert Mayer (Der Kain- Komplex. Neue Wege Systemischer Familientherapie, Verlag Ludwig), der seine Patienten in der Therapie in die pränatale Zeit zurückführte und dabei, anfangs erstaunt, feststellte, dass die Patienten sich oft nicht alleine sahen im Uterus, obwohl offiziell kein Zwilling bekannt war.
Inzwischen haben wissenschaftliche Studien mit Untersuchungen des Zellmaterials des Mutterkuchens ergeben, dass vermutlich in über 70% (!) der Schwangerschaften zunächst Mehrlinge angelegt sind! Mehrlingsschwangerschaften sind also offenbar die Regel, nicht die Ausnahme!
Wieso gibt es dann so wenig lebende Zwillinge? Viele der angelegten Mehrlinge sterben, von den Eltern unbemerkt, schon in den ersten Schwangerschaftswochen, andere auch erst recht spät ("Vanishing-Twins").
Hebammen und Ärzte haben die Order, das Vorhandensein von Mehrlingen, die vielleicht im Ultraschall sichtbar werden, zunächst den Eltern nicht mitzuteilen, da diese kleinen Geschwister evtl. die ersten Wochen nicht überleben - systemisch gesehen ein problematisches Vorgehen...
Welche Folgen können nun diese unerkannten Mehrlingsschwangerschaften auf die "überlebenden" Kinder haben? Im Grunde dieselben, wie bei bekannten Mehrlingsgeburten, bei denen nicht alle leben, mit dem Unterschied, dass die Symptome des Verlusts noch unerklärlicher, noch weniger einzuordnen sind.
Mancher fragt sich: "Warum ist da diese Sehnsucht nach einer symbiotischen Begegnung, einer Ergänzung, einem Seelenpartner, mit dem man sich möglichst ohne Worte blind versteht? Warum lässt mich jede 'normale' Partnerschaft so unbefriedigt zurück, wirkt so inhaltsleer, so banal? Warum wird eine enge Bindung immer mit Angst und dem Gefühl von Tod verbunden? Warum erschaffe ich mir in meinem Leben immer wieder bestimmte Dreier- oder Viererkonstellationen, oft mit leidvollen Verstrickungen? Was haben diese inneren Bilder oder Träume von schwarzen oder grauen Wolken oder Löchern, von unheilvollen Strudeln zu sagen? Warum habe ich solche Probleme, meinen eigenen Raum im Leben wirklich einzunehmen?" Woher kommt dieser Zug zum Jenseitigen? Warum zieht mich das Thema 'Engel' oder auch 'Seelenpartner' so an?
Auf viele dieser Fragen kann die Antwort sein - weil Du vielleicht nicht alleine warst in der prägenden Zeit der ersten Wochen und Monate und weil Nähe und Intimität mit der Todeserfahrung in Zusammenhang gebracht wird. Und natürlich auch, weil so frühe Trauma-Erfahrungen zu einem Zeitpunkt, wo eine wirkliche Verarbeitung kaum stattfinden kann, sehr prägend für das gesamte weitere Leben sind.
Das Familienstellen kann eine gute Methode sein, die "verlorenen" Geschwister wieder zurück ins Herz zu holen bzw. herauszufinden, ob das innere Sehnen in diese Richtung führen könnte. In der Folge kšnnen sich früh gestorbene Mehrlingsgeschwister als mächtige 'Schutzengel' und Kraftquelle für das Leben hier auf der Erde entpuppen (wenn wir es zulassen können).

Antje Jaruschewski
(veröffentlicht in 'Achtsames Leben' 2003)

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