Mit Leib und Seele

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Mit Leib und Seele

Der Körper - Schnittstelle von Individualseele und System

Unser Körper verbindet uns mit dem Hier und Jetzt. Seele und Geist drücken sich aus über den Körper. Das gilt für das Familienstellen genauso wie für alle anderen Bereiche des Lebens, doch haben wir hier einen Raum, wo die erhöhte Sensibilität und Fokussierung auf den Moment neue Erfahrungen ermöglicht. Dies wird jedoch gewöhnlich nicht als ein zentrales Ziel der Aufstellungsarbeit beschrieben. Vielleicht auch deshalb, weil wir in unserer westlichen Kultur dazu neigen, den Geist, den Intellekt als „höher“ und wichtiger einzustufen als den Körper?

Mein Körper als Instrument der Wahrnehmung
Als Aufstellerin ist es mein erklärtes Ziel, „phänomenologisch“ zu arbeiten. Was heißt das praktisch? Zu den Phänomenen zählt u.a. alles, was wir in der Aufstellung sehen, wahrnehmen, hören und fühlen. Das sind in erster Linie die Äußerungen der Stellvertreter. Doch auch der Beobachter und vor allem der Leiter sind involviert. Es gibt keinen neutralen Standpunkt (Diese Illusion hat uns ironischerweise die neuere Physik genommen)! Und so ist auch das, was mein Körper in der Rolle als Aufstellerin aufnimmt und ausdrückt, Ausdruck des jeweiligen Systems.
Um nun aber beurteilen zu können, was meine eigenen Symptome und Wahrnehmungen als AufstellerIn über das jeweils aufgestellte System aussagen, benötige ich ein Referenzsystem. Das heißt, ich muss die „normalen“ Reaktionen meines Körpers kennen, diese von system-induzierten unterscheiden lernen und ich muss Erfahrungen sammeln, wie diese mit der vorliegenden Systemkonstellation zusammenhängen könnten.
Ein Beispiel: Wenn ich als Aufstellerin in der Konstellation Kopfschmerzen habe, habe ich vielleicht einfach Kopfschmerzen. Mehr nicht. Vielleicht nehme ich aber auch die Kopfschmerzen eines Systemmitglieds auf. Oder, eine dritte Möglichkeit, mein Körper hat intern „Kopfschmerzen“ als eine spezielle Metapher für ein besonderes Thema, das spezifische „Feld“, das in der Aufstellung spürbar wird, definiert.
Diese Unterscheidungen kann ich mit einer vernünftigen Wahrscheinlichkeit nur treffen, wenn ich über genügend entsprechende Erfahrungen verfüge. Wenn ich in möglichst vielen Aufstellungen als Stellvertreter gestanden habe. Wenn ich Übung darin habe, meinen Körper wahrzunehmen und ihn genügend kenne. Wenn ich Abstand genug zu den aufgestellten Themen habe, um reflektieren zu können. Sonst bleiben solche Erfahrungen wie zufällig, ohne deutbaren Sinn, stehen.

Körpersymptome als Metapher
Dazu wieder ein Beispiel. Ich selbst habe als eine mögliche Körper-Metapher das Gefühl von „Schwindel“ beobachtet. Wenn ich in einer Konstellation als Aufstellerin Schwindel verspüre, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das (unausgesprochene) Thema der entsprechenden Aufstellung sich um Inzest und Missbrauch dreht, meiner bisherigen Erfahrung nach sehr hoch. Ich finde es wertvoll, diese körpereigenen Signale herauszufiltern, als Instrument zu kultivieren und zu nutzen, denn gerade bei Themen, die etwas mit Familiengeheimnissen zu tun haben, bekommen wir oft wenig direkte Hinweise von den Stellvertretern. Natürlich prüfe ich konkret, inwieweit dieser Hinweis meines eigenen Körpers in der Aufstellung Sinn macht (so könnte ich dann z.B. auch bewusst entscheiden, dem nicht weiter nachzugehen.)
Weitere solche Signale können z.B. Übelkeit, Bauchgrummeln, Hitze, Kälte, ein stockender Atem, schwere Arme und vieles mehr sein.
Ich vermute, dass das, was wir als Aufsteller „Intuition“ nennen, sich oft auf solche kleinen körperlichen Signale stützt, ohne dass wir das immer registrieren.
Als besonders wertvoll habe ich Kenntnisse über solche Signale auch in der Einzelarbeit mit Bodenankern empfunden.
Ich selbst arbeite oft so, dass ich jeweils an die Stelle der unterschiedlichen Bodenanker trete und so als Stellvertreter und Aufstellerin in einem fungiere. Gerade hier kann es irreführen, wenn ich als Repräsentant alle Signale meines Körpers immer „eins zu eins“ verstehen würde.
Um in meinem Beispiel zu bleiben – ohne meine Erfahrungen zu berücksichtigen könnte es leicht geschehen, dass ich einen von mir in der Rolle empfundenen Schwindel der jeweiligen Person zuordne, die ich gerade darstelle. Wiederum: Das kann ja tatsächlich richtig sein, muss es aber nicht. Wie unterscheide ich das?
Mittlerweile weiß ich aus Erfahrung folgendes: Wenn diese Empfindung bei mir auftritt ohne ein dazugehöriges Gefühl von Beklommenheit und Scham, von körperlichem „Abgeschaltet-sein“, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass ich wirklich körperliche Symptome der repräsentierten Person empfinde, dass es eben nicht als Metapher gemeint ist.
(Fast überflüssig zu erwähnen, dass hier natürlich auch schlicht der Klient befragt werden kann, ob die Person X unter solchen Symptomen leidet.)
Und welches ist der Nutzen solcher Überlegungen für mich als Aufsteller? Der Pool der verwertbaren Informationen füllt sich – etwas, das ich gerade in der Einzelarbeit zu schätzen weiß, da ich hier nicht auf die vergleichsweise komplexeren Informationen der Stellvertreter zurückgreifen kann.

Körper-Metaphern bei Stellvertretern
Interessant sind diese Überlegungen aber auch dann, wenn es darum geht, in einer „klassischen“ Aufstellung mit lebenden Stellvertretern die Äußerungen von Repräsentanten einzuschätzen. Sicher, zunächst gehe ich davon aus, dass alle Äußerungen zu der repräsentierten Person des Systems gehören. Aber es spricht auch nichts dagegen, diese Hypothese zu verfeinern und zu prüfen. Wenn ich ein und denselben Stellvertreter in vielen verschiedenen Rollen erlebt habe, zeigt sich oft auch hier das gleiche Phänomen von solchen individuellen „Spezial-Symptomen“.
Wenn ich meine Wahrnehmung dafür schärfe, kann auch dies noch zu einer Zusatzinformation führen, und nicht etwa simpel zu der Feststellung, „der bringt ja nur (?) sein Eigenes mit hinein“. So fühlt der eine als Stellvertreter z.B. immer Kälte, wenn es um Gewalt-Themen geht, ein anderer geht immer wie ein Automat durch die Gegend, wenn er eine starke Identifikation repräsentiert, die ihn gefangen nimmt, usw. Warum soll man nicht auch dies als zusätzliche Informationsquelle nutzen? Meist sieht man mit geschultem Auge so etwas schon nach der zweiten oder dritten Repräsentation und kann diese Information im Weiteren entsprechend einordnen.

Fazit
Ein umfangreicher Teil meiner eigenen Ausbildung (Stark-Institut, Heinz Stark) basierte auf der Arbeit mit dem Körper. Selbsterfahrung und Selbstwahrnehmung sind eines unserer besten Werkzeuge in der Aufstellungsarbeit und sie können uns auch dort weiterhelfen, wo andere Informationen nicht zu erlangen sind.
Darüber hinaus speist sich das, was wir gemeinhin „Intuition“ nennen, meiner Erfahrung nach zu einem guten Teil aus subtilen Körperwahrnehmungen. Und so können wir bewusst an unserer Intuition arbeiten, indem wir dies kultivieren und immer wieder überprüfen.

Antje Jaruschewski

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